Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.
Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
und ich kreise jahrtausendelang;
und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein großer Gesang.
Rainer Maria Rilke, 1899


MEINE GESCHICHTE
beginnt als sich der Herbst gerade verabschiedet, im Jahr 1971. Meine Eltern geben mir den Namen Eva, das heißt „die Lebendige“. Mein Name steht für das, was mich im Innersten antreibt: Meine Liebe zum Leben und mein tiefer Wunsch ihm zu dienen.
Aufgewachsen bin ich in einem Dorf in der hügeligen Landschaft des mittelhessischen Lahn-Dill-Berglands. Mein Elternhaus steht am Waldrand. Hier lebe ich noch immer.
Der Wald ist für mich zeitlebens heiliger, lebendiger Lebensraum, Spielzimmer und Zufluchtsort.
Großgeworden mit Pflege- und Adoptivgeschwistern habe ich ursprünglich die Absicht, dieses Familienmodell zu professionalisieren und weiterzuführen. Es schließt sich nach meinem Abitur ein Studium im Sozialwesen an. Ich werde Diplom Sozialpädagogin.
Mit Psychologie als Studienschwerpunkt erwerbe ich Kenntnisse in Resourcenorientierter Arbeit mit Menschen, Klientenzentrierter Beratung, NLP, Systemischer Familientherapie, imaginativen Verfahren/Hypnotherapie, Familienaufstellung und Genogrammarbeit.
Im Anschluss an das Studium arbeite ich mehrere Jahre im Jugendamt. Die komplizierten und oft tragischen Familiengeschichten und Lebenswege weiten und prägen meinen Blick auf das Leben. Wie kann Heilung geschehen? Diese Frage wird für mich zu einem Auftrag.
Ich heirate mit 25 Jahren. Mit der Geburt meiner beiden Söhne 1999 und 2001 widme ich mich als junge Frau mit ganzer Energie und Liebe meiner Familie, die aus drei Generationen in einem Haus besteht. Nach 10 Jahren Elternzeit, nehme ich meine Berufstätigkeit wieder auf und arbeite seitdem in einer Grundschule. Ich bilde mich in Traumapädagogik und zur Ansprechperson für sexualisierte Gewalt fort.
Mein Lebensweg erscheint nach außen hin geradlinig zu verlaufen. Im Inneren folgt er verschlungen Pfaden. Immer wieder geraten Prozesse ins Stocken, müssen Umwege genommen und Pausen eingelegt werden. Trotz aller Anstrengungen zerbricht meine Ehe nach 23 gemeinsamen Jahren und mit ihr mein einstiger Lebensentwurf. Wir finden einen versöhnlichen Umgang miteinander und Wege, für unsere Söhne weiterhin gemeinsam Eltern zu sein.
Es ist der tiefste Einschnitt in meinem bisherigen Leben. Unvermutet hält er jedoch auch die Erfahrung bereit, dass etwas trägt, wenn nichts mehr trägt.
Spiritualität spielt in meinem Leben schon immer eine Rolle. Es ist die Sehnsucht danach, in Tuchfühlung mit dem zu kommen, was über uns hinausgeht.
Katholisch getauft engagiere ich mich viele Jahre ehrenamtlich als Wortgottesdienstleiterin in der katholischen Kirche, leite Kindergottesdienste und alternative Liturgien und entdecke dabei meine Freude an der Gestaltung von Zeremonien. Dennoch finde ich hier nicht, wonach ich suche und leide innerhalb der Institution unter so manchem – bis ich dann auf einen Priester treffe, der mir Zugang zu einer neuen spirituellen Weite eröffnet.
In der Lebensmitte nehme ich einen über die Jahre verschütteten Pfad wieder auf, mache mich aktiv auf die Suche nach den Ursprüngen, forsche bei den Mystikern, in den biblischen Schriften und außerkanonischen Evangelien, im frühen Christentum, der Gnosis, im Platonismus, auf dem buddhistischen ZEN-Weg, auf vorchristlichen spirituellen Wegen, in Märchen und Legenden, in den Traditionen unseres Kulturkreises, in indigenen Überlieferungen, in Schöpfungsmythen und an vielen anderen Stellen.
2019 komme ich durch „Zufall“ in Kontakt mit dem naturmystischen Ansatz, in dem sich vieles von dem vereint, was ich zuvor in meinen Forschungen als verbindendes Element erkannt habe. Schließlich lande ich im Wald hinter meinem Haus und bin dort angekommen, wo ich mich schon als Kind beheimatet und dem großen Geheimnis am nächsten gefühlt habe. Ein Lebenskreis hat sich für mich geschlossen und ein neuer beginnt.

In der Zwischenzeit heirate ich den (ehemals) katholischen Priester. Er ist jetzt evangelischer Pfarrer. In seiner Gemeinde wirke ich zu besonderen Anlässen in alternativen Liturgien und in der Konfirmandenarbeit mit. Mein Herz brennt dabei für Naturrituale und eine geerdete Spiritualität.
2020 gehe ich auf Visionssuche. Als ich zurückkomme, weiß ich, dass ich auf diesem Weg weitergehen will. Ich beginne noch im selben Jahr die Weiterbildung zur Visionssucheleiterin und Begleiterin von Lebensübergängen und Naturritualen in der Tradition der School of Lost Borders bei Dr. Marascha Daniela Heisig. Großzügig lässt sie mich an ihrem reichen Wissensschatz, ihrer tiefen Erfahrung und ihrer Weisheit teilhaben und begleitet mich liebevoll auf meinem persönlichen Erfahrungsweg.
In dieser Zeit erkrankt meine enge Freundin Katja an Krebs. Ich darf sie durch ihre letzten Lebensjahre bis zur großen Schwelle begleiten. Demütig und ehrfürchtig lerne ich von ihr und gebe ebenso an sie weiter, was ich selbst erfahren und gelernt habe. Die besondere Art in und mit der Natur zu sein, bewährt sich für uns beide in einzigartiger Weise im Leben und Sterben.
Lernen darf ich auch von vielen anderen Lehrer*innen aus dem Netzwerk deutschsprachiger Visionssuche-Leiter/innen www.visionssuche.net, dem ich selbst angehöre und dessen Ethikrichtlinien ich mich verpflichtet fühle: Sylvia Koch-Weser, Heike Esch, Holger Heiten, Ursula Wältring, Ursula und David Seghezzi, Jörg Urbschat, Anne-Maria Apelt, Jan Frerichs, Susann Belz, außerdem Prof. Dr. Siegfried Mrochen, Rita Hagelstange und Cambra Skadé.
Es heißt „unser aller größte Lehrmeisterin ist die Natur selbst“. Das wird mir immer bewusster. Dieses Wissen bewahren vor allem noch lebende indigene Kulturen. Von ihnen zu lernen ist ein weiterer Schritt auf meinem Weg, der mehr und mehr ein weiblicher wird.